Zwischen Tradition und Transformation im Familienunternehmen: Herausforderungen und Visionen dreier Nachfolgerinnen
Über ihre Erfahrungen und Herausforderungen als Nachfolgerinnen in Familienunternehmen sprechen Katharina Backhaus (Geschäftsleitung Marketing & Media Sales und Prokuristin, Rudolf Müller Medien), Joana Hauff (Member Of The Advisory Board, Thieme Gruppe) und Johanna Heise (Gesellschafterin, heise group) im Interview mit Bernd Adam (Geschäftsführer, Deutsche Fachpresse) und Mareike Petermann (Referentin Kommunikation & Presse). Dabei geben sie Einblicke in ihre Rollen und die von ihnen angestoßene Transformationen in ihren Unternehmen. Sie sprechen über Unternehmenswerte, Mitarbeiterbindung, Auswirkungen des digitalen Wandels und die Rolle von Frauen in Führungspositionen.
Sie sind seit einigen Jahren im Unternehmen Ihrer Familie aktiv. Wie kam es dazu und was haben Sie vorher gemacht?
Johanna: Ich wollte schon immer gerne im Familienunternehmen Verantwortung übernehmen, aber es ist dann doch eher ungeplant passiert. Nach dem Abitur habe ich verschiedene Praktika gemacht und BWL studiert. Während meines Masterstudiums in London habe ich dann einen Werkstudentenjob im Familienunternehmen angenommen, da der Brexit die Jobsuche erschwerte. Ich habe im HR-Bereich angefangen und irgendwann mehr Verantwortung übernommen, besonders beim Thema Employer Branding. Wir hatten damals keine klare Unternehmensidentität und ich merkte schnell, dass wir unsere Werte definieren mussten, um uns als attraktiven Arbeitgeber zu positionieren. Im letzten Semester vor meinem Master habe ich dafür die Verantwortung übernommen und dachte, in vier Monaten kann man so ein Projekt machen und dann ist auch die Corporate Identity fertig. Das hat sich als total falsch erwiesen – und ich arbeite noch immer an diesem Projekt. Nach Abgabe meiner Masterarbeit habe ich dann angefangen, Vollzeit im Familienunternehmen zu arbeiten.
Katharina: Bei mir war es ähnlich. Ich habe ebenfalls BWL studiert und in verschiedenen Medienunternehmen Praktika gemacht. Nach dem Studium arbeitete ich sieben Jahre bei BurdaForward, einer 100%igen Tochter von Burda im Digitalgeschäft, was mich sehr begeistert hat. Nach meiner Elternzeit bot sich bei Rudolf Müller die Gelegenheit, die Verantwortung für die Digitalstrategie zu übernehmen. Obwohl ich ursprünglich in München bleiben wollte, hat mich das Familienunternehmen schnell gefesselt und ich habe erkannt, dass ich hier wirklich etwas bewegen kann – insbesondere neben der Forcierung der Digitalstrategie bei der Weiterentwicklung unserer Unternehmenskultur. Da fehlte es ein bisschen an modernen Austauschformaten, Führungsrichtlinien, Meeting-Guidelines und einer höheren Transparenz im Unternehmen.
Joana: Ich hatte ursprünglich andere berufliche Pläne, aber die Möglichkeit, im Familienunternehmen tatsächlich gestalten und Veränderungen vorantreiben zu können, hat mich überzeugt. Ich hatte nach meinem politikwissenschaftlichen Studium bei verschiedenen NGOs gearbeitet – unter anderem bei »Ärzte ohne Grenzen«. Doch irgendwann habe ich gemerkt: Wenn ich wirklich etwas verändern will, dann muss ich da hingehen, wo ich wirklich gestalten kann – wo ich am meisten Einfluss und Macht habe. Die Pandemie hat mir dann die Möglichkeit gegeben, mich langsam zu involvieren. Sie hat uns zunächst in diese äußere Veränderung katapultiert mit Homeoffice und Remote-Work und das musste irgendwie gestaltet werden. Für mich war sehr klar, dass das nur funktionieren und Wirksamkeit entfalten kann, wenn wir parallel die Veränderungen im Inneren mit begleiten. Das war für mich der Punkt, reinzugehen und zunächst ein New-Work-Projekt zu starten, das ich dann auch operativ führte.
Wie war das Unternehmen aufgestellt, als Sie kamen?
Joana: Das Miteinander wird oftmals noch in hierarchischen Strukturen gelebt – nicht nur bei uns, sondern in sehr vielen Unternehmen. Das ist für mich ein spannendes Erlebnis, weil ich mich einerseits an der Hierarchie reibe, andererseits natürlich einen sehr klaren Platz darin habe. Wir wissen, dass diese starren Hierarchien heutzutage nicht mehr funktionieren. Gerade in Familienunternehmen gab beziehungsweise gibt es einen sehr paternalistischen Führungsstil. Der hatte einerseits positive Ausprägungen, denn es hieß auch »Ich stehe als Familienunternehmer für die Sicherheit der Jobs meiner Mitarbeitenden und ich kümmere mich«. Aus meiner Sicht hatte es aber andererseits dazu geführt, dass wir das vorhandene Potenzial nicht gut genug nutzen, weil weniger Eigenverantwortung und Aktivität möglich waren. Es hat die Haltung gefördert: Sag mir, was ich tun soll und dann handle ich danach. Dieser Ansatz funktioniert in der digitalen Welt einfach nicht mehr und es geht viel an Wissen und Ideen verloren.
Katharina: Ich kann Joana nur zustimmen. Ich glaube, dass es mittlerweile eine andere Art des Arbeitens und Miteinander-Arbeitens gibt. Ich habe in meinem Berufsleben vor Rudolf Müller verschiedene Unternehmen gesehen und konnte daraus Schlüsse ziehen: Wo und warum haben die Mitarbeitenden sich wohlgefühlt und wo war die Effizienz und Effektivität am höchsten? Das habe ich dann peu à peu versucht, auch im eigenen Unternehmen einzuführen. Manchmal tut es einem Unternehmen gut, wenn jemand von außen reinkommt, der andere Dinge erlebt hat und vorlebt. Es ist wichtig, die neuen Themen mit den Mitarbeitenden gemeinsam zu erarbeiten mit dem Ziel, sie zu (mehr) eigenverantwortlichem Handeln zu motivieren.
Johanna: Bei uns war es ein bisschen anders. Wir sind in den letzten zehn Jahren durch Konsolidierung und Zukäufe stark gewachsen, um überlebensfähig zu bleiben. Das führte zu einer Silo-Mentalität. Die drei Unternehmenssäulen waren kaum miteinander vernetzt, was wenig Synergien ermöglichte. Für mich war klar, dass die Unternehmenskultur und unsere Markenidentität entscheidend sind, um diese Strukturen zu überwinden, damit die Mitarbeitenden sich mehr zusammengehörig fühlen, miteinander sprechen, voneinander lernen und miteinander arbeiten.
Was macht ein Familienunternehmen aus?
Katharina: Gerade der Zusammenhalt der Mitarbeiter:innen und die Identifikation mit dem Unternehmen sind in Familienunternehmen sehr stark ausgeprägt. Die Verbundenheit der Mitarbeiter:innen ist ein wesentlicher Bestandteil. Vielfach ist es in Familienunternehmen auch normal, dass Mitarbeitende eine sehr lange Betriebszugehörigkeit haben. Das kenne ich aus den Unternehmen, bei denen ich vorher gearbeitet habe, nicht. Da gehörte man nach fünf Jahren schon zum alten Eisen. Außerdem denken Familienunternehmen in der Regel nicht kurz-, sondern mittel- und langfristig.
Joana: Familienunternehmen locken Menschen weiterhin an. Viele finden es offensichtlich schön, wenn sie sich mit dem Unternehmen und auch mit der Familie identifizieren können. Zudem können wir einen anderen Gestaltungsraum und mehr Unabhängigkeit anbieten – und eine langfristige Perspektive.
Johanna: Wir sind als Unternehmen sehr zuverlässig. Wir sind zum Beispiel nicht börsennotiert, deshalb hat man nicht die Sorge, dass man auf einmal seinen Job verliert, weil sich Börsenwerte ändern. Außerdem bieten wir die Möglichkeit, sich auch im Unternehmen noch komplett zu verändern, wenn man das möchte. Wir haben auch viele Mitarbeiter, die schon ihre Ausbildung bei uns angefangen und dann eine Zeit lang auf dieser Position gearbeitet und sich noch mal komplett verändert haben. Ich würde auch sagen, dass Familienunternehmen super flexibel sein können.
Welche Veränderungen haben Sie angestoßen, was waren Ihre Erfahrungen?
Johanna: Ein großer Punkt war die Einführung und Umsetzung unserer Corporate Identity und des neuen Brandings. Zum Beispiel haben wir alle heise-Logos neu gestaltet und Designs angepasst, etwa bei heise online oder heise regioconcept. Am Anfang war mir gar nicht bewusst, dass das Thema Logo für viele so emotional ist und nicht nur eine Farbe. Da gab es viele Diskussionen und ich habe dadurch viel gelernt, etwa wie die Prozesse funktionieren und was Mitarbeitenden bei uns wichtig ist. Und auch warum es ihnen wichtig ist. Außerdem habe ich begonnen, »Women in Tech«-Events zu organisieren, weil wir nicht so viele Frauen mit unseren Fachmagazinen erreichen und das ändern wollen. Wir haben es hingekriegt, schnell jedes Jahr drei Tech-Veranstaltungen zu organisieren. Das war nur möglich, weil viele Kolleginnen und Kollegen motiviert mitgearbeitet haben.
Katharina: Vor ziemlich genau einem Jahr haben wir flächendeckend Desksharing eingeführt. Und ich muss sagen, dass ich die Wichtigkeit des eigenen Büros mit dem eigenen Schreibtisch für manche Mitarbeitende unterschätzt habe, weil ich es so nie kannte. Ich habe immer in Großraumbüros gearbeitet, auch schon mit Desksharing. Deswegen hatte der eigene Schreibtisch nicht diesen Stellenwert für mich. Für manche Mitarbeitende war diese Reise sehr emotional, viele waren davon begeistert, andere zunächst eher weniger. Zu Beginn haben sich alle noch in ihren Abteilungen eingebucht, mittlerweile mischt es sich komplett. Und das ist natürlich ein großer Benefit, weil dadurch Gespräche stattfinden, die sonst nicht zustande kommen würden. Außerdem arbeitete ich mit Kolleg:innen an unseren Unternehmenswerten. Jetzt geht es noch darum, wie wir diese Werte erlebbar machen.
Joana: Klingt sehr bekannt für mich. Wir haben zwei Bürohäuser, das eigene Stammhaus, das mein Großvater in den Achtzigerjahren erbaut hat, und ein gemietetes Gebäude. Wir werden uns jetzt tatsächlich von dem Stammhaus trennen, weil wir durch unsere sehr großzügige Regelung zum mobilen Arbeiten einfach viel weniger ständige Arbeitsplätze benötigen. Außerdem wäre eine Sanierung dieses Gebäudes mit zu hohen Kosten verbunden. Das war eine interessante Entscheidung, weil es natürlich auch eine schmerzhafte ist. Mein Vater hat fast 40 Jahre in diesem Büro gearbeitet – er hat es nachgezählt und sogar die gesamten Herzschläge aus dieser Zeit ausgerechnet. Gleichzeitig hatten wir angefangen, während der Pandemie das gemietete Gebäude umzubauen und auch dort Desksharing einzuführen. Dabei haben wir versucht, auf die unterschiedlichen Zielgruppen unterschiedlich einzugehen. Menschen, die jeden Tag ins Büro kommen, unsere Residents, kriegen etwa ihr eigenes Schließfach und Noise-Cancelling-Kopfhörer. Ich glaube, grundsätzlich sind die meisten Leute sehr begeistert. Ich bin auch sehr stolz auf diese schönen Räumlichkeiten, die auch nicht so wirklich büroraummäßig kühl aussehen und wirklich einen hohen Wohlfühlfaktor haben.
Wie nimmt man die Mitarbeitenden mit auf dieser Reise?
Johanna: Bei uns gab es vonseiten der Mitarbeitenden schon eine Offenheit für die Veränderungen. Die Veränderung zu organisieren und zu gestalten, war viel schwieriger. Man kann nicht einfach sagen »Jetzt tauscht euch doch mal aus«, dann sagen alle »Worüber denn? Ich habe auch noch anderes zu tun im Tagesgeschäft«. Wir mussten also Formate dafür schaffen, wo dieser Austausch stattfinden kann. Und das ist auch gelungen, zum Beispiel mit Sundowner-Events an allen Standorten und einer Laufgruppe. Auch Mitarbeitende selbst haben Initiativen gestartet.
Katharina: Wir haben im Zuge der räumlichen Veränderungen beispielweise viel über die neuen Austauschformate und einen Newsletter für Mitarbeitende kommuniziert. Bei den Unternehmenswerten war es wichtig, dass die Geschäftsführung voll hinter den Werten steht und die Beschäftigten diese miterarbeitet haben. Es war sowohl ein iterativer wie partizipativer Prozess. Diese Werte müssen wir, wie gesagt, jetzt noch erlebbar machen und daran arbeiten wir auch gerade. Denn wichtig ist, dass die Mitarbeitenden sie auch als gelebt wahrnehmen und sie nicht nur auf der Homepage oder an der Wand stehen. Nur so können sie von möglichst vielen verinnerlicht werden.
Gab oder gibt es Generationenkonflikte? Wie kann man dieses Spannungsfeld produktiv nutzen?
Katharina: Natürlich kann es Unterschiede in der Denkweise zwischen den Generationen geben und es gibt sie. Diese Unterschiede gilt es produktiv zu nutzen, indem man die Erfahrungen der älteren Generation mit dem Innovationsdrang der jüngeren kombiniert. Bisher hatten wir hier noch keine Konflikte, weil wir offen in den Dialog gehen.
Johanna: Bei uns gibt es das auch. Unser Vorteil ist, dass unser Unternehmen stark IT-affin ist und die Mitarbeitenden sehr intrinsisch motiviert sind, mit neuen Technologien zu arbeiten. Trotzdem kommt es auf den Umgang an. Ich versuche, immer auf Augenhöhe zu kommunizieren und die Kollegen für neue Ideen zu begeistern, anstatt sie einfach anzuweisen.
Joana: Wir haben in einem langen partizipativen Prozess mit der gesamten Organisation sogenannte New-Work-Prinzipien und ein Führungszielbild entwickelt. Das gibt allen Orientierung. Dazu gibt es Tool-Boxen, die helfen, diese neuen Prinzipien im Team zu bearbeiten und zu diskutieren, was das für einen persönlich und das Team bedeutet und wie man das zum Leben bringt. Das wurde teilweise sehr gut angenommen. Es gibt natürlich immer Leute, die damit nichts anfangen. Das ist auch in Ordnung, dann müssen sie es auch nicht machen. Wir können niemanden dazu zwingen, das ist auch nicht Sinn der Sache. Ich höre auch immer mal wieder, New Work sei total verpufft. Ich habe einfach das Gefühl, man macht Schritte vor und auch zurück. Aber grundsätzlich bewegen wir uns vorwärts. Der Transformationsprozess braucht einfach Zeit, Geduld und Zuversicht. Ich habe für mich gemerkt: Das Einzige, was ich tun kann, ist herauszufinden, wie ich das allerbeste Vorbild für das sein kann, wozu ich die Leute einladen will.
Was macht Ihr Unternehmen als Arbeitgeber für Bewerber attraktiv?
Johanna: Zum einen die ganz klare Zukunftsorientierung. Wir sind nicht starr in der »schönen, alten« Printwelt verhaftet, sondern sehen auch in KI Chancen und überlegen, was wir damit machen können. Und ich glaube, genau dafür stehen wir letztendlich, dass man bei uns die Zukunft gestalten und auch aktiv daran partizipieren kann, wenn man möchte. Zum anderen sind wir ein zuverlässiger Arbeitgeber, machen viel für unsere Mitarbeitenden, behalten die meisten von ihnen und beschützen sie dementsprechend auch. Bei uns kann man sich sehr, sehr frei entfalten, wenn man das gerne möchte.
Katharina: Es ist einfach ein super spannendes Feld, in einem Medienhaus in der jetzigen Zeit zu arbeiten. Noch dazu ist es B2B, was für mich eine ganz andere Sinnhaftigkeit hat. Wir bieten Lösungen für den gesamten Bauablauf und man kann mitwirken, das Bauen effizienter und nachhaltiger zu machen. Das ist ein riesengroßes Thema. Aber ich glaube, dass wir das Thema Employer Branding noch weiter ausbauen müssen, und daran arbeiten wir aktuell. Als mittelständisches Medienunternehmen sind wir vielleicht nicht auf den ersten Blick so attraktiv und auch nicht unbedingt auf dem Schirm von jungen Berufseinsteiger:innen. Dementsprechend geht es darum, deutlicher zu machen, wer wir sind, wofür wir stehen und was es ausmacht, bei uns zu arbeiten – und dafür auch die Social-Media-Kanäle stärker zu nutzen.
Joana: Die Marke Thieme wird immer noch stark mit Buch und Zeitschrift assoziiert. Das ist unsere Herausforderung. Wir sind schon längst auf dem Weg der digitalen Transformation, etwa mit digitalen Lernplattformen oder Dokumentationssoftware. Wir werden aber noch nicht ausreichend als Digitalunternehmen oder Technologieunternehmen wahrgenommen. Wenn wir dann in den direkten Austausch mit den Menschen gehen, ist es relativ einfach, sie für uns zu begeistern. Ich höre auch immer wieder, wie wichtig die Sinnhaftigkeit ist. Wir haben einen starken Purpose und eine Vision für eine bessere Medizin und mehr Gesundheit im Leben. Und auch einen hohen Impact und Gestaltungsraum. Darüber hinaus haben wir eine sehr lockere Remote-Work-Regelung, durch die man überall in Deutschland wohnen kann. Ohne diese Flexibilität hätten wir sicher mehr Schwierigkeiten, Bewerber und Bewerberinnen zu finden. Das zusammen mit dem bereits beschriebenen Versuch der kulturellen Transformation macht uns auf jeden Fall attraktiv.
Frauen sind im Fachmedienmarkt in Führungspositionen aktuell noch unterrepräsentiert. Das ändert sich aber mit dem aktuellen Generationswechsel. Glauben Sie, dass es dadurch zu Veränderungen in der Unternehmensführung kommen wird?
Joana: Ich bin der Meinung, dass es auf jeden Fall ein problematisches Thema ist. Ich habe erst als Erwachsene verstanden, wie stark Frauen in der Berufswelt benachteiligt sind. Mich macht es ehrlich gesagt sehr wütend, dass im Jahr 2024 immer noch so wenig Frauen in Führungspositionen sind und es eine so große Ungleichheit gibt. Ich nehme wahr, dass ich auch gerne mal in eine Ecke geschoben werde. Nach dem Motto: Sie interessiert sich nur für die »schönen« oder die weichenThemen wie New Work oder Kommunikation. Ich habe keine allzu große Lust, mich im Detail mit diesem Vorwurf auseinanderzusetzen, und konzentriere mich lieber auf die Arbeit, die ich als sinnvoll und wichtig erachte. Ein Vorteil des Familienunternehmens ist, dass ich auch dieses Thema angehen und das System verändern kann, in dem wir arbeiten. »Don’t fix the women, fix the system.« Wir hatten zum Beispiel eine Geschäftsführungsposition in einer Tandemrolle ausgeschrieben als Joint Leadership. Und plötzlich hatten wir überhaupt gar kein Problem damit, viele qualifizierte Frauen im Bewerbungsprozess zu haben. Da denke ich, lasst uns nicht mehr darüber diskutieren, lasst es uns einfach machen!
Katharina: Ich sehe das wie Joana. Ich glaube, wir sind noch nicht da, wo wir sein müssten. Das liegt an den Unternehmen, aber auch an der Gesellschaft und am Thema Kinderbetreuung. Aber wir können uns selbst für uns im Unternehmen und mit dem Einfluss, den wir haben, dafür einsetzten, dass es anders wird. Bei Rudolf Müller waren schon immer auch viele Frauen in Führungspositionen – nicht auf oberster Ebene in der Geschäftsführung, aber darunter ist es mindestens gleich verteilt. Durch eine weibliche Nachfolge wird sich auf jeden Fall etwas in der Führungskultur ändern, weil Frauen andere Perspektiven und Führungsstile mitbringen. Dabei geht es mir gar nicht um eine Wertung, was besser ist, sondern einfach um andere Blickwinkel und verschiedene Stärken. Ich bin fest davon überzeugt, dass diese Diversität Unternehmen voranbringen.
Johanna: Ich habe neben meinem externen Engagement mit Women in Tech auch ein Frauennetzwerk im Unternehmen gegründet. Daraus soll sich eine Diversity-Projektgruppe finden, die das Ziel hat, mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen und gleichzeitig zu untersuchen, warum das momentan noch nicht der Fall ist. Ich möchte allen eine Chance geben, das machen zu können, was sie machen möchten. Letztlich sieht man es auch in Studien: Diverse Teams funktionieren besser, sind effizienter und erfolgreicher. Ich glaube auch, dass die Kinderbetreuung ein großer Punkt und die Versorgung nicht gewährleistet ist. Das sehe ich auch immer bei vielen Kolleginnen von mir.
Der Fachmedienmarkt ist im Wandel. Stichwort Digitalisierung und KI. Was werden zukünftige Herausforderungen sein und wie wollen Sie diesen begegnen?
Katharina: Rudolf Müller hat sich in den letzten Jahrzehnten schon zu einem multimedialen Fachlösungsanbieter entwickelt. Deshalb sprechen wir von uns auch nicht mehr als Verlag, sondern von einem Medienhaus. Neben klassischen Printprodukten bieten wir Software, Digitalprodukte, Events und Veranstaltungen sowie Weiterbildungen an und werden diese auch weiter ausbauen. Das Thema KI ist unsere größte Herausforderung und gleichzeitig auch unsere größte Chance. Wir stehen für verlässliche, relevante Inhalte, die wir unseren Kunden in der Form ausspielen, die sie für ihren Arbeitsprozess am besten benötigen. Gleichzeitig müssen wir noch viel stärker mit unseren Zielgruppen in den Austausch gehen, um zu verstehen, wo wir sie besser unterstützen können. Dabei stellt sich auch die Frage nach dem veränderten Nutzungsverhalten und wie wir darauf reagieren können. Wir – auch die Belegschaft – sind uns bewusst, dass wir uns in einer stetigen Transformation befinden. Wir können nur dauerhaft überleben, wenn wir uns stetig hinterfragen, ob wir den Job richtig machen, damit wir nach wie vor das Need to have für unsere Kunden sind.
Johanna: Ich würde mich da komplett anschließen. Wir identifizieren uns auch als Medienunternehmen, das Digital- und Printprodukte miteinander vereint, aber auch Dienstleistungen bietet. KI und Internationalisierung sind die größten Themen der Zukunft. Jeder kann jetzt Texte schreiben und es wird eine noch größere Flut an Informationen geben. Deshalb ist die Marke mittlerweile noch wichtiger, sie steht wie ein Gütesiegel über allem und die Kunden können auf sie vertrauen.
Joana: Wir haben es auch so gemacht, dass wir »Verlag« aus unserem Namen gestrichen haben. Wir sind jetzt ein digitaler Gesundheitsdienstleister. Inzwischen amüsiert mich dieses Bedürfnis, das »Verlag« rauszunehmen, ein wenig. Wir sind und bleiben immer noch Verlag, wir müssen nur einfach Verlag neu erfinden. Die Möglichkeiten von KI und Large Language Models sind extrem spannend. Denn sie stellen uns vor die Frage, was denn in Zukunft unser Wert als Verlag ist. Es gibt in Bezug auf Daten den Satz »Shit in, Shit out« – also die beste KI-Anwendung bringt nichts, wenn die eingespielten Daten nicht verlässlich und korrekt sind. Und das ist im Fall von Medizin natürlich höchst relevant. Unsere Herausforderung ist die Frage: Wie können wir unseren Content mit den individualisierten Patientendaten so kombinieren, dass es eine personalisierte, auf den Patienten zugeschnittene Diagnose- oder Behandlungsempfehlung beispielsweise für den Arzt oder die Ärztin ergibt, die auf zertifiziertem Thieme-Content oder Daten beruht? Dabei müssen wir auch eine Offenheit haben, mit Partnern zu kooperieren, die Know-how mitbringen, das wir nicht haben. Was uns auszeichnet, ist unser sehr hoher Qualitätsanspruch und das Qualitätsversprechen, das wir unseren Kunden geben. Das ist und bleibt weiterhin Teil unserer Identität.
Mit welchen Branchen und Akteuren sollten sich die Fachmedienmacher intensiver vernetzen?
Katharina: Es ist immer bereichernd und wichtig, über den Tellerrand hinauszuschauen – insbesondere auch außerhalb der eigenen Branche ein Netzwerk aufzubauen. Ich glaube dass es wichtig ist, sich mit Tech-Unternehmen und Start-ups auszutauschen, um am Puls der Zeit zu bleiben. Gleichzeitig bieten die Deutsche Fachpresse oder auch der Medienverband der freien Presse die Möglichkeit, um sich auch in der Branche zu vernetzen und zu hören, wie andere (Fach-)Medienhäuser die Transformation bestreiten. Aus meiner Sicht ist es wichtig, sich in der eigenen Branche und darüber hinaus zu vernetzen und da auch Kooperationen einzugehen. Man muss nicht alles selbst neu erfinden, sondern man kann und sollte auch von anderen lernen und schauen, wie sich Themen, Prozesse etc. im eigenen Unternehmen adaptieren lassen, um besser zu werden.
Johanna: Wettbewerber oder Partner, das verschwimmt mittlerweile. Gerade mit Blick auf US-amerikanische Firmen wie Google und Facebook. Auf der einen Seite sind sie Konkurrenten, auf der anderen Seite wichtige Partner, ohne die wir manche Sachen nicht verkaufen könnten. Deshalb ist es wichtig zu schauen, was bei den großen Tech-Unternehmen passiert und was das für Auswirkungen auf uns hat. Da gilt es, in allen Bereichen auf dem neuesten Stand zu bleiben, und wenn es dann um auch Medienthemen geht, sich mit allen Medienunternehmen auch auszutauschen – nicht nur bei uns im Tech-Bereich, sondern kreuz und quer, weil alle ihre Erfahrungen haben.
Joana: Ich persönlich bin kein großer Techie, aber selbst ich kriege leuchtende Augen bei der Vorstellung, was mit innovativen Technologien alles möglich ist und wie schnell wir damit die passenden hoch personalisierten, kontextsensitiven Informationen zur Verfügung stellen könnten. Das muss dann gar nicht mehr direkt in unserem eigenen Produkt sein. Wir sind der Meinung, dass es beispielsweise im Klinikkontext gar nicht mehr sinnvoll ist, unsere Inhalte ausschließlich in Thieme-eigenen Systemen zur Verfügung zu stellen. Wir möchten direkt in die Systeme unserer Kunden und Kundinnen rein. Wenn wir diese Offenheit mitbringen, können wir das Gesundheitswesen noch viel aktiver mitgestalten. Dafür müssen wir mutiger, agiler und flexibler werden, um in super enger Kooperation mit Partnern und Kunden ganz neue Formen von Anwendungen zu entwickeln.
Was gefällt Ihnen am meisten bei Ihrer aktuellen Tätigkeit?
Johanna: Dass ich jeden Tag gestalten kann, wie ich möchte und das Unternehmen verantwortungsbewusst weiterentwickeln kann. Ich habe ein tolles Team an meiner Seite, das bereit ist, mich auf dieser Reise zu unterstützen.
Katharina: Das kann ich nur unterstreichen. Es sind auf jeden Fall das Gestalten und auch die Sinnhaftigkeit, täglich verlässliche Informationen und Lösungen anbieten zu können. Dass ich das in sechster Generation machen darf, erfüllt mich mit Demut, aber auch mit großem Stolz und wahnsinniger Freude.
Joana: Mit dem Gestalten geht es mir genauso. Aber auch die Chance, so viel lernen zu dürfen sowie den Raum zu haben und das Vertrauen zu bekommen, so enorm über mich hinauswachsen zu können. Genau dies an andere weitergeben zu können, ist eine extrem große Freude und Motivation für mich.
Das Interview ist erschienen in der Ausgabe 2/2024 des LETTER - Magazin für Fachmedienmacher:innen der Deutschen Fachpresse
Joana Hauff, Member Of The Advisory Board, Thieme Gruppe
Joana Hauff vertritt das Familienunternehmen in fünfter Generation und verantwortet in enger Zusammenarbeit mit der Geschäftsführung die Bereiche Transformation und (Zukunfts-) Strategie im Unternehmen. Zentraler Ansatzpunkt dabei ist die Stärkung der Innovationskraft über veränderte Führungs- und Organisationsstrukturen, um auch in Zukunft und in einer sich stark verändernden Branche die Vorreiterrolle von Thieme zu behaupten.
Johanna Heise, Gesellschafterin, heise group
Johanna Heise ist CEO von heise ventures. Zusätzlich ist sie Head of Brand & Culture bei heise und somit für das Employer und allgemeine Branding der gesamten heise group verantwortlich und im Geschäftsführerkreis der heise academy tätig. Vor ihrer Zeit im Familienunternehmen hat sie Erfahrung in der Beratung bei KPMG im Deal Advisory und bei SimonKucher gesammelt. Ihren Master in Management absolvierte Johanna Heise an der ESCP Business School in London, Berlin und Madrid. Dabei fokussierte sie sich auf das Management von Familienunternehmen, auf das internationale Management und auf Sales und Marketing. Zuvor hatte sie ihren Bachelor an der WHU Otto Beisheim School of Management abgeschlossen.
Katharina Backhaus, Geschäftsleitung Marketing & Media Sales und Prokuristin, Rudolf Müller Medien
Katharina Backhaus ist in der Geschäftsleitung für den Geschäftsbereich Marketing & Media Sales bei RM Rudolf Müller Medien verantwortlich. In ihrer Rolle verantwortet sie den Vertrieb der Produkte und Services im Anwender- und Werbemarkt und trägt maßgeblich zur strategischen Weiterentwicklung der Marken und Angebote des Unternehmens bei. Katharina Backhaus, die das Traditionsunternehmen bereits in sechster Generation repräsentiert, bringt umfassende Medienerfahrung aus ihren Stationen bei BurdaForward und dem Deutschen Landwirtschaftsverlag mit. Seit ihrem Eintritt 2021 hat sie die digitalen Projekte des Unternehmens vorangetrieben und den neu geschaffenen Bereich Organisationsentwicklung entscheidend mitgeprägt. Seit September dieses Jahres unterstreicht die erhaltene Prokura ihre erweiterte Verantwortung im Unternehmen