Vergangene Leistungen sind nicht immer ein guter Indikator für zukünftige Leistungen

Industry Dive hat sich innerhalb weniger Jahre von einem Start-up zu einem der führenden Anbieter von hochwertigen digitalen Fachinhalte und B2B-Journalismus in den USA entwickelt. Bernd Adam, Geschäftsführer der Deutschen Fachpresse, sprach mit Andy Burt, Managing Director, Head of Content - CFO, Proformative bei Industry Dive (Washington), über das Erfolgskonzept für B2B-Newsletter und Gemeinsamkeiten zwischen den Märkten für Wirtschaftsmedien in den USA und Europa. Andy Burt war auch Keynote-Sprecher auf den diesjährigen B2B Media Days am 23. Mai in Berlin.

Andy, Sie sind Managing Director und Head of Content bei Industry Dive. Was genau ist Ihre Aufgabe bei dem Unternehmen?

Andy Burt: Ich bin seit 2016 bei Industry Dive, in dieser Zeit hat sich meine Rolle weiterentwickelt, von dem, was wir als die traditionelle Rolle eines „Redakteurs" bezeichnen, der einen Industriezweig betreut, über das „Managen" eines Teams oder einer Gruppe bis hin zum Management einer ganzen Publikation und allem, was dazu gehört – wie ich es jetzt bei CFO.com und Proformative.com tue. Der größte Unterschied zwischen meiner jetzigen Tätigkeit und der zu Anfang besteht darin, dass ich nun die redaktionelle Strategie und die Produktion von Inhalten mitverantworte. Außerdem arbeite ich mit unseren Vertriebs- und Marketingteams zusammen, um wichtige Sponsoren zu gewinnen, die es uns ermöglichen, Einnahmequellen zu erschließen.

Industry Dive hat in nur 10 Jahren eine beeindruckende Erfolgsgeschichte im B2B-Journalismus geschrieben. Heute arbeiten mehr als 100 Journalist:innen in Ihrer Redaktion und es werden mehr als 14 Millionen Entscheidungs­träger:innen erreicht. Was ist das Geheimnis dieses Erfolgs?

Industry Dive startete 2012 mit sechs digitalen Branchenpublikationen. Das waren die Modelle um zu testen, ob das alles so funktionieren würde. Wir waren drei Gründer, eine Handvoll Praktikanten, Programmierer, junge Journalisten mit einem winzigen Büro, und der Betrieb lief größtenteils über Bootstrapping. Die ersten sechs Publikationen, die wir herausgegeben haben, waren Bauwesen, Bildung, Marketing, Versorgungswesen, Abfallwirtschaft und Lebensmittel. Das sind alles Publikationen, die heute noch existieren.

Wie ist daraus das geworden, was wir heute sind, mit Hunderten von Industry- Dive-Mitarbeitern, Tausenden von Mitarbeitern unserer Muttergesellschaft Informa und einem globalen Fingerabdruck? Ich muss hier an einen berühmten Ausspruch der amerikanischen Basketball-Trainerlegende John Wooden denken: „Sei schnell, aber überstürze nichts". Für ein kleines, ehrgeiziges Start-up bedeutet dies, dass es keine Möglichkeit gibt, den Prozess zu übergehen. Wir alle arbeiten in einem Umsetzungsgeschäft. Aber wenn die Zeit reif ist, muss man bereit sein, sich zu bewegen. Und das sind wir. Nur, weil wir uns in einer Nische bewegen, wie wir es alle im B2B-Bereich tun, heißt das nicht, dass wir klein bleiben müssen.
 

"Unser Unternehmensziel ist es, das beste B2B-Medienunternehmen der Welt zu sein"

Wie sieht ein typisches Industry-Dive-Inhaltsangebot aus?

Unser Unternehmensziel ist es, das beste B2B-Medienunternehmen der Welt zu sein, das in den wichtigsten Branchen tätig ist, die die lokale und globale Wirtschaft antreiben. Das klingt grandios und erfordert grandiose Pläne, aber es beginnt im Kleinen, mit der Konzentration auf den Einzelnen – die Führungskraft, die wissen muss, wie sie ihre Arbeit in ihrer Branche besser machen kann. Den Anfang macht eine E-Mail-Adresse. Sie verdienen sich das Vertrauen einer Führungskraft in der Branche, die Ihnen ihre E-Mail-Adresse zur Verfügung stellt, und Sie müssen es erhalten, indem Sie täglich nutzwertige und relevante Inhalte versenden. Aus der E-Mail wird ein Newsletter, der jeden Tag in den Postfächern ankommt und der im Idealfall die Empfänger zu unseren Website-Hubs zurückbringt, um ihren Bedarf an Informationen über Trends und Erkenntnisse zu decken, die ihnen helfen, sich von der Konkurrenz abzuheben. Wir gruppieren diese täglichen Inhalte mit vertiefenden und langlebigen Informationen, Marktforschung, Umfragen und anderen Inhalten, die unser Produktportfolio abrunden.

Das alles funktioniert jedoch nur, wenn Sie über einen Kader von talentierte und motivierten Journalisten verfügen, die in ihren jeweiligen Branchen fest verankert sind, mit diesen wichtigen Führungskräften sprechen und für sie relevante und wertvolle Kurznachrichten, Artikel, Q&A sowie vertiefte Einblicke recherchieren und schreiben. Es ist das unermüdliche Streben nach dieser Art von Exzellenz, das uns auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten vorantreibt.

Wie wollen Ihre Kunden informiert werden?

Die Konsumgewohnheiten der Leser sind von Branche zu Branche unterschiedlich. Aber allgemein gesprochen geht es immer um die praktische Art der Bereitstellung, die Art der gelieferten Inhalte und die eigentliche Substanz, den Inhalt. Wie wir wissen, haben Medienunternehmen in den letzten 20 Jahren mit allen Arten der ersten beiden Facetten experimentiert – den Plattformen, der Häufigkeit, den Artikeltypen, von Interaktivität über Podcasts bis hin zu Videos. Aber wir bei Industry Dive haben gelernt, dass Nummer 3 am wichtigsten ist. Wenn man Nummer 3 nicht hat, dann sind Nummer 1 und 2 unwichtig. Außerdem müssen wir stets daran denken, dass Entscheider wenig Zeit haben. Deshalb lautet unser allem zugrundeliegendes Versprechen, dass wir mit dem, was wir Ihnen jeden Tag schicken, nicht Ihre Zeit verschwenden werden.

Sie haben Brand Studio nur drei Jahre nach Gründung von Industry Dive als Content-Marketing-Service gestartet. War dieses Content-Marketing-Geschäft ein wichtiger Teil Ihres Erfolgs?

Unsere Geschäftsführung hat die Theorie, die ich für richtig halte, dass ein großes B2B-Medienunternehmen, das auf herausragendem Journalismus und Zielgruppenanalyse aufbaut, gleichzeitig ein Brand Studio betreiben sollte, um zwei spezifische Potenziale zu maximieren. Das erste Potenzial besteht in der Chance, die man hat, wenn Sie sich das Recht verdienen, im Posteingang einer Führungskraft zu landen, und diese bereit ist, Ihren Newsletter zu öffnen. Aus dieser Chance müssen Sie alles herausholen. Das tun Sie, indem Sie verschiedene nützliche Inhalte bündeln, angefangen bei journalistischen Angeboten, aber auch Webinare, Whitepapers, Research und andere Angebote, um die Welt der Führungskraft zu beeinflussen.

Das zweite Potenzial besteht darin, dass Sie im Zuge des ersten Prozesses eine überwältigende Menge an Daten aus erster Hand anhäufen. Daten, die Sie treuhänderisch monetarisieren müssen, und ein Unternehmen tut dies, indem es diese Branchenkenntnisse nutzt, um wertvolle Marketingkampagnen für Kunden zu entwickeln, die ebenfalls Zugang zu dieser exklusiven Welt haben möchten. Das Erstaunliche ist, dass beide Welten – beide Seiten von Industry Dive – ein bemerkenswertes Wachstumspotenzial haben, das auf denselben Ideen beruht, jedoch auf eine unterschiedliche, aber ergänzende Weise angegangen wird.

Industry Dive steht in seinem Tagesgeschäft auf mehreren Säulen. Welches sind die wichtigsten Einnahmequellen?

Wir haben zwei generelle Einnahmequellen – ein auf Werbeeinnahmen basierendes Geschäftsmodell für unsere Publikationen und ein auf Content Marketing basierendes Modell für unser Brand Studio. Die meisten unserer Einnahmen fallen in diese beiden Bereiche. Interessant und herausfordernd wird es, wenn man beginnt, die verschiedenen Branchen, in denen wir diese Umsätze generieren, zu differenzieren. Denn nicht alle Branchen und B2B-Nischen sind gleich. Und so müssen wir sorgfältig prüfen, was jede Branche uns bieten kann und wie wir das, was wir in jeder Branche am besten können, optimieren können. Auf diese Weise stellt jede Branchenpublikation eine eigene Art von Mini-Unternehmen dar, das sich jedoch auf das Rückgrat unseres kollektiven Wissens und unserer Erfahrung stützt.

Im Jahr 2022 übernahm Informa Industry Dive für einen mittleren dreistelligen Millionenbetrag. Wie ergänzen sich die beiden Unternehmen?

Es geht immer um die Zielgruppen. Wie werden Sie sie erreichen? Und was werden Sie tun, wenn Sie es erreicht haben? Industry Dive und Informa haben sich zusammengetan, weil wir beide diese Zielgruppen erreichen wollen, und wir ergänzen uns durch eine Grundidee – jeder bietet an, was der andere braucht. Industry Dive ist weltweit führend bei der Erstellung von Nischenpublikationen, die sich auf Branchen auswirken, bei der Beschaffung von Daten aus erster Hand und bei der Nutzung dieser Daten zur Entwicklung von Marketinglösungen für Branchenakteure. Informa ist Weltklasse bei seinen traditionellen Publikationen und der Zielgruppenpflege, seiner globalen Reichweite und seinem Veranstaltungsgeschäft. Aber wie ich schon sagte, wir sind in einem Umsetzungsgeschäft tätig. Die nächsten Schritte, die wir tun müssen, betreffen also die Strategie und die Umsetzung.

Welche Art von Unternehmen sehen Sie als die wichtigsten Konkurrenten auf Ihrem Markt?

Bemerkenswert im B2B-Geschäft ist, dass es aufgrund des Nischencharakters viele Möglichkeiten gibt, „to skin the cat", wie wir in den USA manchmal sagen. Man sollte meinen, dass die alteingesessenen Medienunternehmen mit ihrer Größe, ihrem Umfang und ihren Ressourcen eine Konkurrenz für uns darstellen. Doch das Gegenteil ist der Fall: Sie sind eine Chance. Denn jede Redaktion muss entscheiden, worüber sie berichtet. Niemand kann ständig über alles berichten, wenn man es versucht, werden langfristig einige Bereiche des Unternehmens darunter leiden.

Anstatt nur an eine Disruption des Marktes zu denken, denken wir darüber im Sinne von „additiv sein“ nach, also etwas hinzuzufügen. Ein Beispiel dafür ist Banking Dive, den ich vor einigen Jahren ins Leben gerufen habe. Der Marktführer im Bereich der Bankennachrichten in den USA ist natürlich American Banker. Er ist großartig, genießt einen guten Ruf, und erhält, völlig zur Recht, Auszeichnungen. Aber: Sie treffen redaktionelle Entscheidungen, so wie wir es auch tun. Als wir Banking Dive gründeten, fragten wir uns also nicht: „Wie können wir Marktanteile stehlen?" Wir fragten uns vielmehr, was wir zum täglichen Gespräch über das Bankwesen beitragen können, sodass eine Führungskraft aus dem Bankwesen beides lesen möchte. Unser Weg hier war, uns mehr auf regionale und lokale Bankentrends für kleine und mittelgroße Banken zu konzentrieren.

Wenn man sich den wettbewerbsintensiven Branchen auf diese Weise nähert, wird einem klar, dass es oft Raum für mehrere Akteure gibt. Ja, man konkurriert immer auf einer gewissen Ebene um Werbegelder, aber die Zielgruppen und die Werbeetats sind groß genug dafür.
 

"Anstatt nur an eine Disruption des Marktes zu denken, denken wir darüber im Sinne von „additiv sein“ nach, also etwas hinzuzufügen"

Welche Rolle wird KI in der Zukunft bei Industry Dive spielen?

Medienunternehmen müssen immer über mögliche Disruptionen auf zwei Ebenen nachdenken: Erstens, wie wird es sich auf die Leser auswirken? und zweitens, wie wird es das eigene Unternehmen beeinflussen? Im Moment spielt die generative KI eine wichtige Rolle in den Denkprozessen von Führungskräften. Wie wird sie die Art und Weise, wie Dinge erledigt werden, verändern? Wird sie die betriebliche Effizienz steigern? Wird sie einen Teil der Arbeitskräfte ersetzen? Wird sie ein echter Game Changer sein, wie zum Beispiel die Cloud? Oder wird der Hype die letztendlichen Auswirkungen überwiegen, so wie zum Beispiel verschiedene Technologien versprochen haben, die E-Mail abzulösen, aber letztendlich bei der Ablösung dieser verbrennungsmotorähnlichen Technologie scheiterten.

Während wir diese Entwicklung beobachten und darüber berichten, müssen wir uns auch fragen, wie KI die Art und Weise, wie Journalismus und Marketing funktionieren, verändern wird. Und das wird sie. Ich denke jedoch, dass wir bisher bei jeder bahnbrechenden Technologie eines gesehen haben, nämlich, dass diejenigen, die herausfinden, wie sie die menschliche Erfahrung mit ihr erweitern können, am meisten davon profitieren. Einige Technologien werden einen Teil der Aufgaben von Journalisten und Vermarktern übernehmen, aber das wird den Menschen andere Möglichkeiten eröffnen. Es obliegt jedoch uns, diese zukünftigen Arbeitskräfte zu verstehen und darauf vorbereitet zu sein, sie zu managen.

Wenn Sie die Märkte für Wirtschaftsmedien in den USA und Europa vergleichen, welche Gemeinsamkeiten oder Unterschiede sehen Sie?

Eine der auffälligsten Gemeinsamkeiten ist, dass die Geschichte der B2B-Medien stark von den Printmedien geprägt ist. B2B-Unternehmen haben sich in den USA historisch gesehen nur langsam angepasst, und das scheint auch für andere Teile der Welt zu gelten. Das macht Sinn – wenn man auf Branchen abzielt, die sich nur langsam weiterentwickeln, gilt das auch für die Medien, die dort konsumiert werden. Ich glaube, dass sich Industry Dive von anderen Anbietern dadurch abgehoben hat, dass es auf „Digital First" setzt – viele Unternehmen sind diesem Beispiel gefolgt. Und ich weiß auch, dass es schwer ist, die Vergangenheit loszulassen. Auf CFO.com bieten wir immer noch Links zu den alten, preisgekrönten Hochglanzmagazinen. Dieses Erbe ist wichtig.

In Gesprächen mit Ihnen und anderen hat man den Eindruck, dass Print in Europa immer noch einen hohen Stellenwert hat. Was nicht unbedingt schlecht ist. Aber vergangene Leistungen sind nicht immer ein guter Indikator für zukünftige Leistungen. Man bezahlt einen Spitzensportler ja nicht für das, was er getan hat, sondern für das, was er als nächstes leisten wird. Mit digital ist es ähnlich. Es ermöglicht Ihnen nicht nur, Ihre Vertriebskanäle zu erweitern, sondern auch Messgrößen zu schaffen, die in der Printwelt unmöglich wären. Es ist wichtig, den Mut zu haben, sich zu fragen: Wie werden wir unser Zielpublikum erreichen – morgen? Und was werden wir ihnen sagen? Und wie wollen wir dann zu gegebener Zeit das Tempo des Fortschritts messen?

Ich halte mich nicht zu sehr mit den Unterschieden zwischen Unternehmen, Kulturen und Ländern auf. Das menschliche Verhalten ist im Laufe der Menschheitsgeschichte ziemlich konsistent gewesen. Aber wir müssen uns immer wieder die oben genannten Fragen stellen, denn ich denke, dass dies für den Erfolg im B2B-Geschäft von entscheidender Bedeutung war und sein wird.

Weiterführende Links:
Industry Dive
CFO.com
Proformative