Im Interview: Tijen Onaran

"Es gibt immer noch sehr viele Menschen, die die Kraft eines Netzwerks unterschätzen"

Netzwerken spielt in der Fachmedienbranche seit vielen Jahren eine immer größere Rolle. Gerade in der aktuellen Coronakrise steht die Vernetzung mehr denn je im Mittelpunkt. Im Gespräch mit Fachpresse-Referentin Mareike Petermann (Kommunkation & Presse) erläutert Tijen Onaran, Gründerin des Netzwerkes Global Digital Women und Autorin von Die Netzwerkbibel, warum gute Vernetzung wichtig ist, welche Chancen die aktuelle Krise für neue Formen des Netzwerkens bietet und wie gutes Netzwerken gelingen kann.

Mareike Petermann: Sie engagieren sich mit dem Netzwerk Global Digital Women für die Vernetzung und Sichtbarkeit von Frauen in der Digitalbranche. Warum gründeten Sie ein Netzwerk speziell für Frauen?

Tijen Onaran: Ich hatte zum einen das große Glück, in meinen Jobs vor meiner Selbstständigkeit immer starke weibliche Vorbilder zu haben. Denn ich habe gemerkt, wie wichtig a) weibliche Vorbilder sind, auch für meine eigene Entwicklung, und b) wie Frauen auch untereinander netzwerken. Alle meine Chefinnen hatten ein gutes Netzwerk, zum Teil waren sie auch untereinander vernetzt. Zum anderen fiel mir auf, wann immer ich auf einem Kongress unterwegs war, dass viele der Podiumsdiskussionen rein männlich besetzt waren. Und dann schaute ich links und rechts in meinem Umfeld und stellte fest: Es gibt, gerade auch im digitalen Bereich, spannende Frauen und ich fragte mich, warum man die eigentlich nicht sieht. Als ich vor fünf Jahren anfing, mir zu überlegen, was mein Beitrag zum Thema Diversität, speziell Geschlechtervielfalt, sein könnte, fügte ich beides zusammen: Meine berufliche Sozialisation durch starke weibliche Vorbilder und den Wunsch, dazu beizutragen, dass es mehr Frauen in Panels, in den Medien und auch in Führungspositionen gibt. Mit Global Digital Women bringe ich Frauen zusammen, die sich gegenseitig unterstützen und gleichzeitig ist das Netzwerk eine Anlaufstelle für alle, die Expertinnen suchen.

Aktuell gibt es ja keine Face-to-Face-Veranstaltungen mehr. Sind Telefon- und Videokonferenzen sowie Onlineveranstaltungen ein adäquater Ersatz? Qualitativ wie emotional?

Ich finde, Onlineveranstaltungen sind eine ideale Ergänzung zu den Offlineveranstaltungen und gerade jetzt eine wirklich gute Alternative. Warum? Erstens weil man natürlich online viel mehr Menschen erreicht als offline. Zu unseren Global Digital Women-Veranstaltungen kommen circa 60 bis 80 Leute, für unsere Onlineveranstaltung zum Thema Finanzen hatten wir 1.900 Anmeldungen. Das mag der Gesamtsituation geschuldet sein, trotzdem glaube ich, dass die jetzige Zeit eine große Chance ist, gerade auch das Thema Netzwerken zu digitalisieren und noch stärker in das digitale Netzwerken zu investieren, in welcher Form auch immer. Was derzeit im Netz stattfindet, beruflich und privat, ist großartig. Dass es die gleichen Emotionen transportiert wie das Offline-Netzwerken, glaube ich nicht. Ich glaube, es transportiert andere Emotionen. Aber es kann auch emotional sein.

Sie sehen also Chancen für neue Formen des Netzwerkens in der Krise?

Genau. Ich beobachte beispielsweise, dass das Thema branchenübergreifendes Netzwerken viel stärker geworden ist. Weil alle irgendwo im selben Boot sitzen. Ich glaube, dass die Krise neue Netzwerke schafft und ich bin davon überzeugt, dass sie für das Netzwerken gut ist, weil sie Branchengrenzen aufbricht – zum Teil auch Hierarchien – und das Thema Kollaboration sehr viel stärker in den Vordergrund stellt.

Wie wirkt sich die Coronakrise auf Ihr eigenes Unternehmen aus?

Die Meetups die wir für die Unternehmen, mit denen wir im Veranstaltungsbereich kooperieren, organisieren, wurden entweder absagt oder in den Herbst verschoben. Deswegen haben wir relativ schnell damit angefangen, diese Offlineformate in die Onlinewelt zu übertragen und haben neue Formate etabliert. Die Treffen für Kooperationspartner finden jetzt auch online statt. Ich selbst habe ein neues eigenes Format, die T-Talks Digital, für das ich einmal in der Woche eine Persönlichkeit aus Wirtschaft, Politik oder Gesellschaft interviewe. Die Idee dazu hatte ich vorher schon, sie aber nie umgesetzt. Dadurch, dass gewisse Dinge derzeit wegfallen, haben wir momentan viel mehr Raum, neue Ideen tatsächlich auch umzusetzen und uns auch ganz neuen Ideen zuzuwenden.
Ein Learning für uns ist zu sagen, dass wir Formate, die wir jetzt etablieren, behalten werden, wenn diese Krise vorbei ist. Denn sie zeigen, dass wir dadurch neue Zugänge haben und zum Teil viel mehr Menschen erreichen als nur durch das Offline-Netzwerken.

Netzwerken Frauen eigentlich anders als Männer?

Ja, weil meiner Ansicht nach Männer und Frauen bei diesem Thema ganz unterschiedlich sozialisiert sind. Ich glaube, bei vielen Männern ist Netzwerken viel selbstverständlicher und sie leben es auch viel selbstverständlicher als Frauen. Und sie verknüpfen Netzwerken auch nicht unbedingt mit Freundschaft. Bei Frauen ist es häufig so, dass das Thema Sympathie eine ausschlaggebende Rolle spielt. Männer denken da viel strategischer und taktischer: Sie schauen sich ihr Ziel an und überlegen sich, wen sie dazu brauchen und wer ihnen dabei helfen kann, es zu erreichen. Frauen hingegen tun sich unglaublich schwer damit, in einer Netzwerkbeziehung offensiv aufzutreten. Hinzu kommt, dass viele denken, ein Netzwerk ist auch dazu da, Freundschaften zu schließen. Dem ist aber nicht so.

Warum?

Weil es in meinen Augen die falsche Herangehensweise ist. Oder zumindest eine, die einen selbst und das Gegenüber sehr unter Druck setzt.
 

„Je besser man vorbereitet ist desto leichter fällt es einem, auf andere Leute zuzugehen, weil man die Situation besser einschätzen kann.“
 

Druck verspüren ja manche auch, weil sie denken, sie hätten kein Talent zum Netzwerken.

Das begegnet mir auch häufiger. Aber ich glaube, jeder kann netzwerken. Die entscheidende Frage ist: Bin ich bereit, ins Netzwerken auch zu investieren. Egal, ob jemand introvertiert ist oder extrovertiert. Für beide Charaktere gibt es ja verschiedene Formate. Für Menschen, die sich damit schwertun, alleine an Veranstaltungen teilzunehmen oder einen Smalltalk mit fremden Menschen zu starten, sind natürlich die digitalen Kanäle total gut. Denn in dieser Art geschützten Raum kann ich erst einmal andere Menschen beobachten, bevor ich mit ihnen in Kontakt trete. Deshalb ist es heute einfacher denn je zu netzwerken.

Haben Sie trotzdem Tipps für eher introvertierte Menschen, die sich das Netzwerken in der realen Welt nicht zutrauen?

Wichtig ist, sich erstens selbst nicht zu überfordern, sondern sich ein Stück weit an das Netzwerken heranzurobben. Und zweitens, sich richtig vorzubereiten. Je besser man vorbereitet ist – Um welches Thema geht es? Wer nimmt teil? Welchen beruflichen Hintergrund haben diese Menschen? –, desto leichter fällt es einem, auf andere Leute zuzugehen, weil man die Situation besser einschätzen kann. Außerdem: Smalltalk heißt ja hier nicht zwingend, über Wind und Wetter zu sprechen, sondern inhaltlich anzuknüpfen. Etwa als Gesprächseinstig jemanden zu fragen, welches seine Verbindung zu der Veranstaltung ist.

Gibt es auch No-Gos?

Ja. Zum Beispiel gleich beim Erstkontakt mit der Tür ins Haus zu fallen und sich, sein Produkt oder seine Dienstleistung direkt anzubieten – ohne zu wissen, ob man damit richtig bei dem Ansprechpartner oder bei der Ansprechpartnerin ist. Ein weiteres No-Go ist im beruflichen Kontext dem Gegenüber sofort Privates, also die eigene Lebensgeschichte oder Eheprobleme, „aufzudrücken“. Persönliches, wie verheiratet, ja, wenn es gerade passt. Aber privates nein.
 

„Es ist dabei völlig legitim Kontaktanfragen abzulehnen, wenn ich das Gefühl habe, dieser Mensch passt nicht zu mir oder zu meiner Strategie oder der Austausch passt jetzt generell nicht.“
 

Hunderte Onlinekontakte, etwa bei Xing oder LinkedIn machen noch kein gutes Netzwerk. Wie kann man auf Onlineplattformen ein qualitativ gutes Netzwerk aufbauen?

Das Wichtigste ist, sich genau zu überlegen, was man von seinem Netzwerk erwartet, ein Ziel zu formulieren, auf das man hinarbeitet und das auch über das Netzwerk abgebildet wird. In diesem Zusammenhang rate ich immer, eine Art beruflichen Jahresplan aufzustellen. Also die Frage zu beantworten, wo will ich in einem Jahr stehen. Das Zweite ist, sich darüber bewusst zu werden, was die eigenen Talente und Kompetenzen sind, die man mitbringt. Netzwerken heißt ja immer geben und nehmen. Das Dritte ist zu überlegen, wie viel Zeit man in investieren kann. Wenn ich diese drei Fragen für mich geklärt habe, ergibt sich daraus, wie sich mein Netzwerk zusammenstellt. Je besser man diese Fragen beantwortet hat, desto höher steigt die Qualität des eigenen Netzwerks.
Wesentlich ist also, für sich selbst klar zu sein. Die größte Herausforderung ist es, seine Strategie tatsächlich aufrechtzuerhalten, ohne die Flexibilität zu verlieren. Es ist dabei völlig legitim Kontaktanfragen abzulehnen, wenn ich das Gefühl habe, dieser Mensch passt nicht zu mir oder zu meiner Strategie oder der Austausch passt jetzt generell nicht.

Bin ich aber in gewisser Weise im beruflichen Zusammenhang nicht immer auch ein Stück weit ein Corporate Influencer und deshalb auch dem Unternehmen verpflichtet, auch was das Annehmen von Kontakten angeht?

Natürlich repräsentieren Sie letztlich immer das Unternehmen, in dem Sie arbeiten. Der Unterschied zu einem Corporate Influencer ist aber, dass ersteres gegeben und letzteres organisiert ist. Wenn Sie sich als Corporate Influencer sehen, macht es natürlich Sinn, möglichst breit die Leute zu adressieren und möglichst viele Menschen zu erreichen. Wenn Sie aber sagen, ich will eigentlich eine Art Multiplikator nur für meine Nische sein, müssen Sie nicht auf Reichweite gehen. Die Corporate Influencer organisieren sich außerdem sehr stark über Netzwerkveranstaltungen, sie identifizieren sich nicht nur sehr stark mit dem Unternehmen, sondern vor allem auch mit anderen Corporate Influencern.

Employer Branding spielt auch bei Fachmedienhäusern eine immer größere Rolle. Wie können sie Mitarbeitende motivieren, zum Corporate Influencer zu werden, ohne diese in die Rolle hineinzuzwängen?

Ich würde immer mit Menschen starten, die sowieso eine hohe Verbindung zu dem Unternehmen haben, vielleicht schon lange dabei sind, oder sich aus anderen Gründen sehr stark mit dem Unternehmen identifizieren. Und ich würde sie zugleich ein Stück weit auch als internen Botschafter oder interne Botschafterin für solch ein Programm nutzen. Außerdem ist es wichtig, immer auch Sinn, Ziel und Zweck aufzuzeigen. Dass es nicht nur auf das Unternehmen einzahlt, sondern auch ein Stück weit auf die Kompetenzen und die Themen des Mitarbeiters oder der Mitarbeiterin – etwa, dass es zum Beispiel ihren Job viel einfacher machen kann, wenn sie im Bereich Fachexpertise visible sind. Generell werden wohl immer Menschen zu Corporate Influencer werden, die auch wirklich Lust darauf haben, ihre hohe Identifikation mit dem Unternehmen abzubilden und auch einen Sinn und Zweck dahinter sehen.

Es gibt auch in der Fachmedienbranche verschiedene thematische Netzwerke, von B2B Marketern, über professionelle Entscheider in Wirtschaft und Wissenschaft bis hin zu verschiedenen Berufsgruppen. Muss ich bei jedem Netzwerk anders herangehen oder folgt Netzwerken allgemeingültigen Regeln?

Es gibt allgemeine Netzwerkregeln, die für alle Branchen gelten. Etwa, dass es nicht auf die Quantität ankommt, sondern auf die Qualität eines Kontakts. Sprich nicht möglichst viele Menschen zu kennen, sondern die für mich entscheidenden oder relevanten und zu wissen, wo diese sich treffen, online wie offline. Die Art des Informationsaustausches hängt hingegen von der Branche ab, wie affin sie gegenüber dem Thema Social Media oder generell Digitales ist oder eben nicht.
 

„Ich würde immer dazu raten, das eigene Netzwerk möglichst divers zu gestalten und frei von Hierarchien aufzubauen.“
 

Ist es beruflich sinnvoll, nur mit Leuten des gleichen Berufs oder der gleichen Interessen zu netzwerken oder muss es diverser sein?

Ich bin ja schon qua Profession ein großer Fan von Diversität. Was ich jedoch immer wieder beobachte ist, dass Menschen, die ein diverses Netzwerk haben, generell viel offener sind und sich einem Perspektivwechsel stellen. Dadurch bekommt man ganz andere Einblicke. Ich glaube, zum richtig guten Netzwerken gehört eben auch, seine Komfortzone regelmäßig zu verlassen. Das ist natürlich eher der Fall, wenn ich Menschen in meinem Netzwerk habe, die mich auch herausfordern und etwas komplett anderes machen als ich. Deshalb würde ich anderen immer raten, sich auch Quergeister, Querdenker und -denkerinnen in ihr Netzwerk zu holen.

Aber immer mit dem Anspruch, dass sie in irgendeiner Form auf das Ziel einzahlen, das ich eigentlich verfolge.

Ja. Es ist, wie gesagt, wichtig, dieses übergeordnete Ziel und diese Vision zu haben, wohin meine Reise ein Stück weit geht und was ich will. Je klarer man da ist, desto einfacher macht es das Netzwerken. Trotzdem begegnen einem – und das ist auch mir schon so gegangen – im Laufe der einzelnen beruflichen Schritte natürlich auch Leute, die auf dem ersten Blick vielleicht einem nicht helfen können oder beruflich nicht passen. Aber nach Jahren zeigt sich, dass man auf einmal doch irgendwie gemeinsam ein Projekt auf die Beine stellen kann. Deshalb ist es entscheidend, sich eine gewisse Form der Offenheit und Spontanität zu bewahren und nicht total strikt an diesem übergeordneten Plan festzuhalten.

Geschäftsführer und Nachwuchskraft: Eine sinnvolle Vernetzung?

Ich würde immer dazu raten, das eigene Netzwerk möglichst divers zu gestalten und frei von Hierarchien aufzubauen. Ich finde, dass es nicht besonders hilfreich ist, auf die Positionsbezeichnung zu achten, zumal die Position gerade in der heutigen Zeit überhaupt nichts darüber aussagt, was ich mache oder wie wichtig ich bin. Alle heißen heute beispielsweise Chief irgendwas, es gibt sogar schon Chief Heart Officer. Und Positionen können sich schnell verändern. Wenn ich innerhalb eines Unternehmens hierarchiefrei netzwerke und Menschen zusammenbringe, die beispielsweise auch aus verschiedenen Generationen kommen, kann das außerdem extrem gut für die Innovation eines Produkts sein.

Also sollten Geschäftsführer öfter mal auf ihre jungen Nachwuchskräfte zugehen?

Das und auch anders herum. Nachwuchskräfte sollten keine Angst oder keine Scheu haben, bloß, weil jemand der oder die Geschäftsführerin ist. Das sagt ja erst einmal nichts darüber aus, ob dieser Mensch inhaltlich weiter ist als man selbst. Als Praktikant/Praktikantin kann ich genauso tolle Kompetenzen mit an den Tisch bringen wie jemand, der oder die schon länger im Job ist.

Ohne Netzwerken geht es also nicht?

Es gibt immer noch sehr viele Menschen, die die Kraft eines Netzwerks unterschätzen. Deswegen versuche ich auch darüber aufzuklären, dass vor allem in Krisensituationen ein Netzwerk ja wichtiger denn je ist. Das sehen wir ja auch gerade im Moment, im beruflichen wie privaten Umfeld. In der Krise zeigt sich die wahre Kraftenergie eines Netzwerks.